Entwicklung der Bergfriedformen

Bei den Grundrissen der Bergfriede kommen alle regelmäßigen und unregelmäßigen geometrischen Formen vor: Eineck (rund mit einer Spitze), Zweieck (rund mit einer geraden Seite), Dreieck, Viereck (Quadrat und Rechteck), Fünfeck, Sechseck, Siebeneck und Achteck.

Beispielgrafik: Gräfenstein, Altdahn, Grenzau, Cleeburg, Falkenstein, Reichenberg, Prozelten, Lützelstein, Steinberg

(v.l.n.r. und o.n.u.).

 

Eine der interessantesten Fragen in bezug auf die Bergfriede ist sicherlich die nach einer zeitlichen Entwicklung bezüglich der Grundrißformen. Ebenso interessant ist die Frage nach den Größenverhältnissen der Bergfriede. Wegen der oftmals ruinösen Zustände der heutigen Bergfriede ist es müßig, die Höhen bzw. die umbauten Raummeter der Bergfriede zu einem Vergleich heranzuziehen. Aber schon der Vergleich der Grundfläche zeigt die große Variationsbreite von Bergfrieden. Die größten Bergfriede liegen bei über 250m² während die kleinsten lediglich etwa 25m² Grundfläche aufweisen. Gibt es auch hier eine Entwicklung, die mit der sich ändernden Funktionalität zusammenhängen könnte?

Diese und ähnliche Fragen sollen im folgenden erörtert werden.

Piper schreibt in der Burgenkunde:

Ueber Zeit und Alter der verschiedenen Grundrissformen der Berchfrite haben eine Anzahl Fachschriftsteller ebensoviele voneinander abweichende und selbst einander entgegengesetzte Behauptungen aufgestellt (..gemeint sind: v. Cohausen, Cori, Näher, Köhler, Krieg v. Hochfelden und Lehfeldt. Der Verfasser..). Es scheint dabei durchweg nicht beachtet worden zu sein, dass es ja bei den vielen tausend auf deutschem Gebiet errichteten, heute aber grösstenteils wieder verschwundenen Berchfriten, sowie bei der durchaus die Regel bildenden Ungewissheit ihrer Erbauungszeiten völlig unmöglich wäre, eine zur Entscheidung solcher Fragen entfernt ausreichliche und deshalb massgebende Statistik derselben aufzustellen. Es muß daher jede Behauptung zu gewagt, weil unbeweislich, sein, welche, wenn auch in bejahender Form, den verneinenden Inhalt hat, dass eine gewisse Art zu der oder jener Zeit noch nicht vorgekommen sein, indem vielmehr nur ihr Vorkommen zu gewisser Zeit eventuell durch Beispiele festgestellt werden könnte. Wenn so die vorhin bezeichneten Behauptungen zumeist – mehrfach findet sich auch das Gegenteil – wesentlich darauf hinauslaufen, dass im ganzen der viereckige Berchfrit als die ältere Form später mehr dem runden habe weichen müssen, so mag es genügen, demgegenüber festzustellen, dass weder in der ältesten Burgbauzeit der runde, noch in der jüngsten der viereckige selten ist Bezüglich des ersten Teiles dieses Nachweises muss man sich ja freilich meistens auf die Feststellung beschränken, dass sich der runde Berchfrit bei Burgen findet, die als Gesamtanlage sich durch hohes Alter auszeichnen, und da wären denn als Beispiele etwa zu nennen Zähringen und Hausach in Baden, Desenberg in Westfalen, Frankenburg im Elsass, Gleiberg bei Giessen, Altenburg in´m Reg.Bez. Cassel, Mühlberg in Thüringen und Saarburg a.d. Saar (schon 964). Als viereckige Berchfrite bzw. Wohntürme aus dem 14. Jahrh., in welchem ja der Neubau von Burgen überhaupt schon verhältnismäßig selten geworden ist, wären dagegen zu nennen diejenigen von Karlstein in Böhmen, Hermannstein bei Wetzlar, Elfeld im Rheingau und Neukraig in Kärnten.

Ebenso irrtümlich ist die Behauptung, dass der fünfeckige Berchfrit, der schon "einen grossen Fortschritt in der Kriegsbaukunst zeige" (Näher), erst im 13. Jahrh. vorkomme (Essenswein). Abgesehen von Schlosseck erscheinen z.B. die mit solchem bewehrten Laurenburg a.d. Lahn und Hocheppan in Tirol schon im 11. Jahrh. Als namentliche Stammburgen.

Kurzum Piper negiert die seriöse Möglichkeit, Entwicklungen bzgl. Grundrißformen an Bergfrieden statistisch haltbar nachzuweisen. Um dem zu entgegnen muß man vorsichtigerweise erst einmal den Begriff Bergfried, wie er der vorliegenden Arbeit nach definiert ist, reflektieren. Piper unterscheidet in dem oben zitierten Text nicht zwischen Bergfrieden und Wohntürmen. So ist der als Beispiel herangezogene Hauptturm von Hermannstein bei Wetzlar eher als Wohnturm zu bezeichnen. Außerdem suggeriert Piper – und hier sind wir wieder bei dem grundsätzlichen Problem der Datierung - , daß Bergfriede von sehr alten Burganlagen ebenfalls sehr alt sind. Dem ist zu entgegnen, daß die runden Bergfriede von Gleiberg und insbesondere Frankenburg sekundär sind und nicht so alt wie die Gründungsanlage der Burg. Piper hat sicherlich recht mit seiner Behauptung, daß es zu allen Zeiten des mittelalterlichen Burgenbaus Haupttürme mit rundem und mit viereckigem Grundriß gab. Es gibt auch Bergfriede mit fünfeckigem Grundriß, die sehr alt sind, zweifelsohne. Doch wenn Piper behauptet, jede Aussage über eine Entwicklung bei den Grundrißformen wären rein spekulativ und nicht beweisbar, so ist dem zu widersprechen. Denn betrachtet man dagegen die Statistik und die Stochastik, so kann man sehr wohl Aussagen über Entwicklungen und Trends machen, auch wenn nicht alle Beobachtungen einer Stichprobe vorliegen. Hier bei der Frage nach der Entwicklung von Bergfrieden geht es ja nicht um 100%-Aussagen, sondern um die Feststellung von Trends. Es ist einleuchtend, daß man mit der gleichen Berechtigung und Präzision, mit der an Wahlabenden schon nach Auszählung eines Bruchteils der Wahllokale das Ergebnis einer politischen Wahl tendenziell festliegt, dasselbe für die Entwicklung von Bergfriedformen erwarten darf, wobei statistisch gesehen die Stichprobe von über 520 Bergfrieden für das zu betrachtende Gebiet ausreichend groß gewählt ist, um signifikante Aussagen zu treffen.

Die nachstehende Grafik zeigt eine Gaußverteilung für die runden, die vier- und fünfeckigen Bergfriede in dem betrachteten Raum. Dabei wurden die bekannten Baujahre auf Zehner gerundet, was für die ungenaueren Bauzeiterkenntnisse ohnehin so gewählt wurde. Damit erreicht man eine gewisse Klasseneinteilung, für die sich gut eine Verteilung rechnen läßt.

 

 

 

Bei der Grafik handelt es sich nicht um eine Gaußnormalverteilung (Integral der Kurve = 1), vielmehr habe ich die Verteilung derart normiert, daß das Integral unter der jeweiligen Verteilungskurve der tatsächlichen Anzahl der jeweiligen Bergfriede entspricht. Dadurch erreicht man in gewisser Hinsicht eine Regression der tatsächlichen Entstehungsdaten, die in der Regel gezackt verlaufenden Kurve. (Grün = viereckige Grundrißform der Bergfriede, Rot = runde und Blau = fünfeckige Grundrißform).

Die Auswertung der Grafik läßt die folgenden Aussagen (immer nur für das betrachtete Gebiet) zu:

  1. Absolut wurden mehr viereckige als runde oder fünfeckige Bergfriede (283 zu 154 zu 43) erbaut

  2. Der zeitliche Höhepunkt (mathematisch der Mittelwert der Verteilung) liegt bei den viereckigen Bergfrieden (1218) deutlich vor dem der runden Bergfriede (1253). Erstaunlicherweise liegt dieser bei den fünfeckigen Bergfrieden noch vor allen anderen: 1183.

  3. Es gibt eine Konzentration des Bergfriedbaus auf wenige Jahre: 50% aller viereckigen Bergfriede wurden in der Zeit zwischen 1180 und 1240 erbaut, also innerhalb von 60 Jahren. Bei den runden Bergfrieden ist das der Zeitraum zwischen 1210 und 1290, also innerhalb von immerhin 80 Jahren. Bei den fünfeckigen Bergfrieden sind die entsprechenden Werte: 1170 bis 1230.

Interpretation der Ergebnisse:

Es gibt eine statistisch nachweisbare Entwicklung der Bergfriedgrundrißformen im südwestdeutschen Burgenbau weg vom viereckigen und hin zum runden Grundriß. Die Tendenz ist deutlich, wenngleich auch nicht mit einen Neigung zur Ausschließlichkeit, dies natürlich in Übereinstimmung mit Pipers Aussagen. Dieses Ergebnis gilt für die Gesamtheit des betrachteten Gebiets und ist für die einzelnen Teilräume noch zu überprüfen. Ebenfalls mathematisch belegen läßt sich die Theorie Billers und anderer über die Zeit der klassischen Adelsburg. Nimmt man als Kernaussage dieser Theorie die Dualität von Bergfried und dediziertem Wohnbau, so stützt die Existenz einer Kernbauzeit für 50% aller Bergfriede von 70 Jahren im Bereich 1180 bis 1250 genau diese Theorie.

Interessant ist noch die Interpretation der Verteilung bei den fünfeckigen Bergfrieden. Haben diese eine ältere Wurzel als die viereckigen Bergfriede? Nimmt man die pure Statistik möchte man das fast annehmen. Aber auch Statistiker sind gehalten, die mathematischen Ergebnisse mit Blick auf das Umfeld zu interpretieren. Der frühe Höhepunkt bei den fünfeckigen Bergfrieden ergibt sich aus der geringen Anzahl von Stichproben (41 Bergfriede) und der großen Streubreite (es gibt ein paar wenige sehr frühe Bergfriede, die aufgrund der geringen Stückzahl den Mittelwert nach unten ziehen). Läßt man diese "Ausreißer" weg, so ergibt sich ein Bild dergestalt, daß die fünfeckigen Bergfriede sicherlich eine Entwicklung in Folge der viereckigen darstellen.

In Folge dieser Überlegung macht auch die Untersuchung bei Bergfrieden mit anderen Grundrissen keinen Sinn, hier liegt die Anzahl der Stichproben noch unter denen der fünfeckigen.